Kondome und andere Grenzen

Kondom? Logisch benutzen wir das! – so sagen es viele Menschen. Und wenn es dann zum Schwur kommt, dann wird das mit dem Gummi eben doch nicht so ernst genommen. Bisher hatte ich mit diesem Thema tatsächlich nichts zu tun. Viele Jahre hatte ich nur mit meinem Mann Sex und jetzt seit letztem Jahr auch einige One Night Stands. Da war das mit dem Gummi selbstverständlich. Doch jetzt war es anders. Mit dem Liebhaber hab ich mich ein paar Monate getroffen und wir waren recht vertraut. Ich erzähl gleich ausführlicher davon. Und so kam es in kleinen Schritten und ohne dass wir wirklich drüber geredet haben, zum SuperGAU.

Als ich davon auf Twitter erzählt habe, haben mir mehrere Frauen geschrieben, dass sie die gleichen oder ähnliche Erfahrungen machen und Männer haben mir geschrieben, dass sie sich natürlich nie so verhalten würden. Nunja. Es geht in diesem Artikel weniger um unsere Beziehungskonstellation, sondern um das Thema Kondome und wie es eigentlich dazu kommt, dass kommunizierte Grenzen dann doch aufgeweicht werden.

Ich schreibe Euch gerne meine persönliche Erfahrung und meine persönliche Empfindung auf um anderen Frauen zu zeigen, dass sie nicht allein sind mit dem Unvermögen in Vertrauensverhältnissen ihre Grenzen zu sagen. Und auch um Männern vor Augen zu führen, was sie eigentlich tun, wenn sie im engen Vertrauen kommunizierte Grenzen übertreten. Es geht hier nicht tatsächlich um ein böswilliges Handeln. Das will ich wirklich niemandem unterstellen. Es geht um einen schleichenden Prozess, in dem ich den Menschen, die ich sehr mag, das Leben schön machen will – auch wenn ich dadurch zurückstecken muss. Und es geht darum wie er in einem schleichenden Prozess nicht mehr richtig eingeschätzt hat, wie wichtig mir meine Grenze ist.

Grenzen verschieben – wie es dazu kommt

Bei mir war es in diesem Fall das Kondom. Aber das gibt es auch in vielen anderen Varianten. Und im Endeffekt hab ich bei mir und auch bei anderen Frauen beobachtet, dass wir – je vertrauter es wird – die Bedürfnisse unserer Sexpartner immer wichtiger nehmen und immer weiter bereit sind unsere eigenen Grenzen zu verschieben. Da geht es um Sexpraktiken, die wir nicht so mögen genauso wie um Themen wie eben das Kondom.

Sex ohne Kondom – warum es so viel besser ist

Für mich fühlt es sich anatomisch nicht wirklich anders an mit Gummi als ohne. Für den Mann mag das anders sein? Unterschiedliche Männer sagen dazu Unterschiedliches. Vermutlich ist es eine persönliche Empfindung, die ich Jedem zugestehen kann. Ganz abgesehen von dieser rein körperlichen Empfindung ist es ohne Kondom für mich natürlich eine intensivere Vertrautheit. So hat es sich auch mit dem Liebhaber angefühlt: vertraut.

Wir haben uns viel berührt. Und ich habe mich mit ihm ehrlich verbunden gefühlt. Wir hatten uns angefreundet. Er war nicht einfach irgendjemand mit dem ich eben Sex hatte, sondern ich hatte wirklich das Gefühl, dass alles passt. Der Sex war innig und leidenschaftlich, wir haben zusammen gelacht. Wir mochten uns einfach sehr und ich hatte das feste Gefühl: So ist alles richtig. Ich hatte um ehrlich zu sein schon nicht mehr dran geglaubt, dass es so jemanden geben würde: Der mit der Konstellation klarkommt und das genau so will; der mir das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein, mit dem der Sex toll ist und mit dem ich die ganze Nacht reden könnte. Doch so war es.

Und dann, wenn man so ineinander verschlungen zusammenliegt, dann ist es natürlich wunderbar, wenn der Schwanz einfach so nebenbei hineingleitet. Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich diese Momente nicht genossen hätte. Es war schön und irgendwie intuitiv. Gleichzeitig war es natürlich falsch und auch verboten, denn eigentlich war die Absprache anders.

Unsere Absprache: Sex nur mit Kondom

In mehreren Gesprächen hab ich deutlich gemacht, dass das Kondom wirklich wichtig ist. Ich habe ihm gesagt, was eine fahrlässig verursachte Schwangerschaft für mich bedeuten würde. Und ich habe auch klar gemacht, dass ich meinem Mann gegenüber eine Verantwortung habe. Das ist vielleicht sogar der noch größere Punkt. Dass nur von mal reinflutschen eine Schwangerschaft entsteht, ist ja wirklich unwahrscheinlich – außerhalb der fruchtbaren Tage sogar eigentlich unmöglich. Aber die Vorgabe, die ich gemeinsam mit meinem Mann abgesprochen hatte war: Nur mit Gummi. Und die ist eigentlich recht klar. Der Liebhaber war zwar enttäuscht irgendwie, aber er war einverstanden: Sex nur mit Kondom. Geklappt hat das nicht.

Mehrmals beim Sex war er in mir und ich musste an das Kondom erinnern. Das war nicht so leicht für mich, denn natürlich war das schön. Er hörte natürlich jeweils auf und benutzte dann doch noch das Kondom. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich das Gefühl hatte es für uns beide verdorben zu haben. Ich wollte nicht die Aufpasserin sein. Ganz und gar nicht. Ich wollte Vertrauen haben können und nicht darüber nachdenken wie weit ich die Grenze vielleicht doch aufweichen könnte, weil es ihm ja offenbar wirklich wichtig war. Während dem Sex lässt sich so eine Entscheidung nicht richtig treffen.

Warum ist der Mann eigentlich für das Kondom verantwortlich?

Natürlich sind beide irgendwie verantwortlich. Ich will die Verantwortung gar nicht gänzlich abgeben. Aber erstens: es ist sein Körper und seine Aufgabe den Gummi überzuziehen, bevor er eindringt. Als empfangender Part weiß man einfach nicht, wann genau der Moment ist.

Und zum Zweiten: Ich hatte während dem Sex eine recht devote Rolle. Er hat das Geschehen meistens bestimmt. Immer wieder hatte ich auch das Ruder. Aber meistens schon er. Aus dieser Rolle heraus, die mir wirklich gefallen hat – das will ich an dieser Stelle betonen – mit seiner Hand an meinem Hals und seinen klaren Worten in meinem Ohr, war es wirklich schwer wieder mit dem Gummi anzukommen und ihn und mich total rauszureißen.

Ich hatte den Gedanken beim Sex immer wieder: Dass ich ihn nicht enttäuschen will, dass ich es ihm recht machen will. Ich wollte, dass er zufrieden lächelt und nicht, dass er genervt an der Kondomverpackung nestelt. Diese Gedanken hätte ich teilen sollen. Mit ihm und auch mit meinem Mann. Es lief grade für alle so gut. Mein Mann war glücklich, er war glücklich – alle happy. Ich wollte das nicht kaputt machen. Ich habe es vor mir selbst klein geredet und meine eigene Grenze um der guten Stimmung willen verschoben. Wenn man es sich so bewusst macht, ist es schon saublöd.

Durch Wiederholung verschieben sich Grenzen

Beim allerersten Mal als er kurz in mir war, bin ich zusammengezuckt und es war nur ultrakurz. Ich habe es gesagt, dass das nicht geht, aber wir haben uns weiter getroffen. Beim nächsten Mal war es tiefer und ich dachte kurz etwas wie: Jetzt ist es auch schon egal. Er war ja schon mal drin. Seither war es mehrmals, wenn wir uns gesehen haben irgendwie Thema. Er war ab und an in mir. Und natürlich gefiel mir das. Sehr sogar. Mir war schnell gar nicht mehr klar, dass ich das eigentlich nicht wollte. In dem Moment wollte ich es sogar. Obwohl ich es im Kopf natürlich eigentlich nicht wollte. Ich hab es zwar immer mal gesagt, aber mir kam es dann doch irgendwie nicht mehr so schlimm vor.

Er versicherte mir, dass er keine andere Frau treffe außer mir. Die Gefahr sich mit irgendwas zu infizieren war daher aus meiner Sicht verschwindend gering. Mir gefiel wie es ihm gefiel. Wie er schwärmte davon wie gut ich mich anfühle. Das hat was mit mir gemacht. Diese enge Verbundenheit war wunderschön und ich schob innerlich weg, dass das wirklich falsch ist. So bin ich reingeschlittert.

Doch eines Tages war es zu viel

Beim letzten Mal hat sich die Grenze noch weiter verschoben. Er ist in mir gekommen. Ich habe es gar nicht gemerkt. Er war in mir und eigentlich wollte ich, dass er noch das Kondom benutzt, aber es war grade unheimlich schön. Ich lag auf dem Bauch mit dem Gesicht zum Spiegel. Er kniete hinter mir und konnte mich anschauen in diesem Moment, den ich gerne auskosten wollte. Er fickte mich für einige Momente fest von hinten. Dann zog er seinen Schwanz aus mir und ich dachte er würde das Kondom überziehen und dann schnell weitermachen. Ich habe mich gewundert, warum ich mich so nass anfühlte. Da sagte er mir, dass er in mir gekommen ist. Ich war schockiert.

Natürlich hatte ich gewusst, dass er ohne Gummi in mir war und ich wollte auch was sagen, aber ich war so mitgerissen von meiner Lust, dass ich es einfach ausgeblendet habe. Und er hat diese Entscheidung – in mir zu kommen – im Kurzschluss getroffen. Das glaub ich ihm auch. Das war nicht berechnend. Das war “nur” egoistisch und impulsiv “weil es sich grade so richtig und gut angefühlt hat”. Ein Fehler – das hat er natürlich danach schnell eingesehen.

Ist das nicht strafbar?

Ich will das was mir und uns passiert ist, klar vom Stealthing abgrenzen. Beim Stealthing streift der Mann heimlich das Kondom ab. Das hat eine andere Tragweite. Bei uns war es unbedacht und dumm. Aber nicht böswillig. Wir haben es uns so hingedreht, wie es gepasst hat. Das ist nicht ok, aber ich halte ihn nicht für einen Täter und mich für ein Opfer im strafrechtlichen Sinn. Im moralischen Sinne schon. Moralisch fühle ich mich benutzt und bin die Verliererin. Alle negativen Folgen habe ich.

Wie hätten wir das verhindern können?

Ich glaube da gibt es nur eins: Grenzen einhalten und niemals aufweichen. Denn der eigentliche große Fehler war nicht unbedingt, dass er in mir gekommen ist, sondern dass wir irgendwann mal in kleinen Schritten angefangen haben, die Grenze abzutragen. Wir hätten es schaffen müssen miteinander konstruktiv über das Thema zu reden (abseits von: “Wir müssen wirklich immer ein Kondom benutzen” – “Ja, ich weiß. Das ist doch aber nur ganz kurz. Aber ja – das sollten wir wirklich machen. Du hast Recht”). Ich habe innerlich die Verantwortung abgegeben. Und das war natürlich falsch. Ich hab mir selbst gesagt, dass es ja jetzt keinen Unterschied mehr macht und dass es ja auch nicht soooo schlimm war. Aber natürlich war es das.

Wenn wir im Gespräch und rational eine Entscheidung treffen, dann können wir die nicht voll mit Hormonen mitten beim Sex über den Haufen werfen. Das war wirklich dämlich und verantwortungslos. Mit Sperma in mir war ich auf keinen Fall einverstanden. Doch ich habe mich auch schon vorher nicht ganz schlüssig verhalten und deutlich gezeigt, dass mir diese Momente ohne Gummi wirklich gefallen haben. Ich will damit das was er gemacht hat nicht rechtfertigen, ich will nur erklären wie es in kleinen Schritten zu all dem kommen konnte.

Ich glaube es ist oft gar nicht absichtlich. Die Frauen, die mir sonst noch geschrieben haben, haben genau das geäußert, was ich auch fühle: In dem Moment hat es sich gut angefühlt und danach fragt man sich selbst: “Wie konntest Du das zulassen?!”

Genauso wie bei mir, ist auch bei ihm sicher das Gefühl verloren gegangen, dass ich das mit dem Kondom eigentlich schon ernst meine. Dass auch ein “nur kurz” einfach nicht geht. Rote Linie.

Hätten wir im Gespräch versucht zu klären wie wichtig ihm das ist und hätten mit Argumenten diskutiert darüber wie wir alle zu unserem Recht kommen, dann hätte es eine Lösung gegeben. So wie es gekommen ist, fühle ich mich furchtbar. Übergangen und gleichzeitig selbst als Schuldige.

Mein Appell: Entscheidungen nicht im Bett treffen

Mein Appell ist daher auch echt einfach: So ein Kondom kann man benutzen oder auch nicht. Dazu will ich hier gar keine Ratschläge geben. Ich schätze jeder, der hier liest, ist über Kondome hinlänglich aufgeklärt. Ob man es weglassen kann, sollte man rational entscheiden, im Gespräch und mit Argumenten und nicht im Rausch der Hormone, weil es sich grade alles so gut und richtig anfühlt. In Summe lohnt sich das nämlich nie. Hätten wir auf diese paar Momente “Verbotenes tun” verzichtet, hätten wir vermutlich noch hundert Mal Sex haben können. Und egal wie schön diese Momente waren: Die hundertmal wären mir lieber gewesen. Und mittlerweile bin ich mir ganz sicher: Ihm auch.

In der Offenen Beziehung ist Vertrauen besonders wichtig. Deshalb ist das was passiert ist und was ich verheimlicht habe, auch so schlimm. Mehr über die Basis und die Gefühle und Gedanken in der Offenen Beziehung kannst Du hier nachlesen.

Und wenn Du magst schreib mir einen Kommentar unter diesen Beitrag oder schick mir eine Mail an kiki@beffluesterin.de . Ich bin auf Deine Meinung und Erfahrung gespannt.

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2 Gedanken zu „Kondome und andere Grenzen“

  1. Vielen Dank für Deine unendlich ehrliche Beschreibung. Ich kann das von beiden Seiten sehr gut verstehen. Einerseits selbst als Mensch mit Penis, dass ich in meinen festen Beziehungen aus niederen, egoistischen Gründen diese vorher gesetzte Grenze “im Rausch des Momentes” übergangen habe – und damit eindeutig falsch gehandelt habe. Da gibt es auch nichts daran schön zu reden. Ebenso erlebte ich es als der passive Part genau so, wie deine Beschreibung es darbot. Nun steht bei mir nicht die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft. So könnte man argumentieren, wenn es zudem noch um einvernehmlichen Sex in einer Partnerschaft geht, in der auch das Gegenüber kein Mann mit vielen, wechselnden Sexualpartnern ist, wird diese Grenze schnell noch mehr zur Variable. Mein Weg ist das erotisieren der Handlung, ein Kondom überzuziehen. Die Einbindung des Kondoms als Normalität beim Sex ist das, was ich/wir momentan praktizieren. Natürlich mag ich auch die Haut und den puren Penis spüren und schmecken, aber da habe ich im Kopf dann doch Blockaden, da mein Gegenüber nicht meine einzige Beziehung ist. Diese Blockaden beim Sex zerstören für mich als Empfangender das Erlebnis an sich, weil ich nicht wie mein Gegenüber sagen kann: “Ich war ganz bei dir.” Nein. Ich war eben auch bei meinen anderen Lieblingsmenschen und bei mir – und das nicht im Guten – Schade. Achtsamkeit gegenüber den Partner_innen als Selbstverständlich zu vermitteln – vom ersten Moment an, wenn mensch über Sex aufgeklärt wird – und Grenzen als gut zu vermitteln und als Möglichkeit, in ihnen Intimität, Erotik und Ekstase zu entwickeln wäre mein Wunsch für Sexualerziehung. Du kannst mir gerne zurückschreiben. Liebe Grüße, Saas

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