Abstumpfen in der offenen Beziehung

Ich wage hier mal ein kleines Zwischenfazit zu unserer offenen Beziehung. Vor sechs Jahren hatte ich meinen ersten Sexting-Flirt, vor anderthalb Jahren hatten wir unseren ersten Dreier, vor einem Jahr hatte ich das erste Mal seit 15 Jahren alleine Sex mit jemandem ohne dass mein Mann dabei war. Wir hatten Dates zu viert, wir haben Freundschaften geschlossen und gemeinsam und auch getrennt voneinander Höhepunkte erlebt. Heute kann ich sagen: In dieser Zeit hat sich immens viel geändert. Vor allem in unserem inneren mindset. Natürlich ist alles viel weniger aufregend als vor einem Jahr. Es ist irgendwie Alltag. “Du klingst abgestumpft”, hat mir neulich jemand gesagt. Aber ist es das? Abstumpfen? Und ist Abstumpfen per se was Schlechtes?

Wie aufregend der Anfang war

Jahrelang habe ich nur mit diesem einen Mann geschlafen. Wir haben oft davon geredet es auch mit anderen zu tun. Wir haben davon gesprochen wie es wäre, wenn er zusehen würde, wie ein anderer Mann mit mir schläft. Wie es wäre andere Haut zu berühren, jemand anderen zu küssen, gemeinsam eifersüchtiges Kribbeln zu spüren. Das war aufregend. Irgendwann hat sich die Gelegenheit zufällig konkret ergeben.

Ich habe mit einem anderen Mann schreibend geflirtet und schließlich gesextet. Ich war so mega aufgeregt. Das erste Mal Sexting. Ich hab mich unfassbar lebendig gefühlt. Tagelang konnte ich an nichts anderes denken. Das hat mich so geflashed. Als mein Mann und ich später an anderer Stelle zu unserem ersten Dreier gefahren sind, da war ich den ganzen Tag hibbelig. Der Sex war einfach unfassbar. So surreal. Als wir uns mit diesem anderen Paar angefreundet haben und ich dort das erste Mal meinen Mann beim Sex mit einer anderen Frau gesehen habe, da war das so befreiend und intensiv. Als ich wenige Monate später zum ersten Mal alleine mit jemand Anderem Sex hatte – und dann auch noch Herzschmerz – da war ich vollkommen eingenommen davon. Doch so wie die wunderbaren Gefühle intensiv waren, waren es natürlich auch die bedrückenden Gefühle.

Die andere Seite der Medaille: Eifersucht vor dem Abstumpfen

Als mein Mann sich das erste Mal mit dieser Frau traf und er dann tatsächlich mit ihr Sex hatte, da war das so unfassbar viel für mich. Ich dachte mein Herz würde zerspringen. Alles hat sich so übermächtig angefühlt. Ich konnte nicht aufhören zu weinen. Ich konnte ihn nicht mehr ertragen in meiner Nähe. Gleichzeitig war es gut und bereichernd das auszuhalten. Ich war stolz auf mich und uns. Ich war einfach völlig überrollt von unfassbar vielen Gefühlen. So heftig war das für mich. Es war eine Mischung aus richtig toll und richtig scheiße. Unfassbar intensiv.

Einen ganz nahen Einblick in die Gefühlswelt während dem Abend allein daheim kannst Du hier nochmal nachlesen: Mein Abend allein in der offenen Beziehung.

Was sich im Laufe der offenen Beziehung geändert hat

Dieser besondere Kick in den ersten Monaten – das Gefühl etwas Neues zu tun und immer wieder an die eigenen Grenzen zu gehen und darüber hinaus – war sehr heftig. Es war intensiv und fordernd und aufregend, aber auch sehr aufreibend und anstrengend. Es war gut und notwendig und manchmal vermisse ich dieses kribbelige Gefühl und die Grenzerfahrung. Denn mit den Monaten und den Dates wurde dieses Gefühl immer weniger.

Ich hab mich immer auf Dates gefreut und freu mich noch immer. Manches Mal sogar wirklich sehr. Aber ich bin nicht mehr so aufgeregt, hibbelig, als würde ich etwas Verbotenes tun. Wir sind Vieles gewohnt mittlerweile. An Gutem wie an Schlechtem. Wenn mein Mann zu seiner Freundin geht (das tut er ungefähr einmal pro Woche), dann fühlt sich das für ihn nicht mehr so aufregend an. Aber für mich ist es auch nicht mehr so fordernd. Die negativen Gefühle werden weniger. Direkt an die gekoppelt sind aber natürlich auch die guten Gefühle: Ich kann mich nicht mehr tagelang auf ein Date freuen. Das Kribbeln, die Aufregung, das tagelang dran Denken, das Flirten: Das wird jedes Mal ein bisschen weniger.

Doch an die Stelle all dieser intensiven und anstrengenden Gefühle ist ein anderes Gefühl getreten. Es ist schwer für mich zu benennen. Kann ich das Abstumpfen nennen? Oder vielleicht Routine? Es ist jedenfalls eine neue Realität.

Ein neues Level durchs Abstumpfen

Abgestumpft klingt furchtbar negativ. So negativ seh ich das aber gar nicht. Was dafür nämlich viel mehr geworden ist: Die Sicherheit, dass das uns gut tut. Dass wir nicht jede Minute eines Dates einsaugen müssen, weil es etwas besonderes ist, sondern dass das nun Teil unseres Lebens ist. Einfach genießen. Das ist wirklich was Schönes. Ich bin froh etwas abgestumpft zu sein. So intensiv wie am Anfang hätte ich es nicht auf Dauer ausgehalten. Und diese neue Sicherheit und Freiheit ist zwar weniger intensiv, aber dafür umso erfüllender. Das ist jetzt unser Leben. Diese Option Sex mit jemand anderem zu haben ist nichts mehr, an das ich manchmal denke. Es ist nichts mehr was in Ferne und besonders ist. Diese Option ist jetzt unser Alltag und unsere Realität.

Was bleibt nach der Fantasie

Das ist etwas, das am Abstumpfen wirklich blöd ist. Es fehlt so ein bisschen das Ziel. Eine versaute Fantasie. Ich hab da schonmal drüber geschrieben. Von Fantasie zur Realität ist es manchmal bedauerlich. Denn Fantasien sind doch was Wunderbares. Wir haben unsere Fantasien lange gepflegt und sie haben uns auch als Paar bereichert. Doch wenn Fantasien Realität geworden sind, dann macht das Reden darüber viel weniger Spaß. Es verliert seinen Reiz. Das fehlt mir manchmal. Wir brauchen daher neue Fantasien, neue Grenzen, die wir aufregend finden. Eine spannende Herausforderung.

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3 Gedanken zu „Abstumpfen in der offenen Beziehung“

  1. Hi Kiki,
    wir haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Am Anfang voll überreizt und nur dauergeil. Nach ein paar Monaten wurde der kick im kleiner. Dates, Clubbesuche uÄ fast schon Alltag. Dann haben wir für ca 6 Monate pausiert und uns auf und konzentriert. Bis zu dem Moment, als unsere neue Nachbarin offenbarte, dass sie bi ist und bei Joyclub Mitglied ist. Da meine Frau auch bi ist, hat sich plötzlich etwas tolles entwickelt. Jetzt vögelt jeder mit jedem. Ganz entspannt. Kein Abstumpfen. Und ohne Mundschutz! 🙂 LG Dirk

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